Buchtipps: Are you okay?
Mit fröhlich-fruchtigen Sommervibes im schwindelerregenden Missbrauchs-Karussell: 6 Buchtipps von Freundinnen.
Letzte Woche kam mir die Idee, dass ich euch gerne mehr Buchtipps mitgeben möchte. Weil es im Dschungel der Veröffentlichungen manchmal jemanden braucht, der*die sagt: Lies das.
Dann haben die Berichterstattungen rund um den Fall Lindemann und Rammstein meiner Motivation einen Riegel vorgeschoben. Ich bin, wie wahrscheinlich alle, die nicht unter einem Stein leben (falls ihr das tut: bleibt da), in den Kommentarspalten von Social-Media-Beiträgen abgetaucht, um erst verzweifelt und dann vollkommen ernüchtert durch diese Hölle zu taumeln, die einmal mehr aufzeigt, wie gewaltvoll unsere Gesellschaft ist – und wie gewaltbereit, um diese Normalität zu verteidigen.
Deshalb nehme ich den ekelhaften Dauer-Zustand als Aufhänger für die erste Buchtipp-Ausgabe. Drei Freundinnen und ich empfehlen heute verschiedene Bücher, die euch inhaltlich entweder in Sicherheit bringen oder in den Strudel des Patriarchats werfen. Ihr könnt es euch aussuchen, frei nach dem Motto:
Was braucht ihr gerade?
Bücher wie eine Umarmung
Caroline Schmitt empfiehlt One Day von David Nicholls
(deutsch: „Zwei an einem Tag“, übersetzt von Simone Jakob)
„Je öfter ich „One Day“ lese, desto schöner wird es. Die Geschichte von Emma und Dexter ist für mich das literarische Äquivalent zu „The Holiday“. David Nicholls zeichnet die Leben zweier komplexer Charaktere über 20 Jahre nach, wen sie lieben, wie sie sich verändern, einander aus den Augen verlieren und irgendwann merken, dass sie sich die Suche nach dem ganz großen Ding zumindest in Teilen hätten sparen können, weil es vor ihren Augen lag. Seit dem 15. Juli 1988.“
Caroline Schmitt ist Journalistin und Autorin des zurecht hochgelobten Debüts „Liebewesen“.
Isabell Prophet empfiehlt „Book Lovers“ von Emily Henry
(erscheint auf Deutsch im Dezember, die bereits übersetzten Romane sind aber auch stabil!)
„Ich empfehle dieses Buch, weil es das genaue Maß an Unvorhersehbarkeit hat. Weil es Charaktere hat, die ich ernst nehmen kann, in denen ich mich wiederfinde und die sich weg bewegen von klassischen RomCom-Charakteren. Und weil ich in diesem Fall sowohl Setting, als auch Personen und Story sehr gut ausbalanciert finde. Eine starke Liebesgeschichte, bei der man zu keiner Zeit das Gefühl hat, dass hier jemand sexuell bedrängt werden würde, denn diese Menschen nehmen sich selbst ernst – und damit auch in der Liebe.“
Isabell Prophet schreibt über Arbeit und Psychologie, auch hier auf Substack. Ihr neues Buch erscheint diesen Sommer.
Ich empfehle Tomorrow and tomorrow and tomorrow von Gabrielle Zevin
(deutsch: Morgen, morgen und wieder morgen, übersetzt von Sonia Bonné)
„Noch nie habe ich einen Roman derart penetrant Freund*innen empfohlen (lies: aufgedrängt) wie diesen, weil es mir ein Rätsel ist, warum dieser NYT-Bestseller hierzulande nicht ansatzweise so eingeschlagen ist wie in den USA. Die Geschichte um Sam und Sadie, deren Liebe zu Videogames sie bereits im Kindesalter verbindet, umspannt mehrere Jahrzehnte, in denen sie selbst Computerspiele entwickeln und damit extrem erfolgreich werden. Ich selbst habe überhaupt keine Berührungen mit Videogames, lasst euch davon also bloß nicht abhalten, denn in diesem popkulturellen Meisterwerk geht es vor allem um die Magie von Freundschaft und die Herausforderungen zwischenmenschlicher Beziehungen. Diese Geschichte hat mich extrem berührt und viel gelehrt darüber, wie man richtig gute Bücher schreibt.“
Bücher, die patriarchale Strukturen & machtmissbrauchende Lurche aufdecken
Ich empfehle Sexuelle Revolution von Laurie Penny
(übersetzt von Anne Emmert)
„Körperliche Gewalt, die von Männern ausgeht und sich gegen FLINTA richtet, ist kein isoliertes Phänomen, sondern wird erschreckend häufig als normal hingenommen. Laurie Penny beginnt ihr umfangreiches und von messerscharfen Beobachtungen durchzogenes Werk mit dem Satz ‘Dies ist eine Geschichte über die Entscheidung zwischen Feminismus und Faschismus’. Denn unsere Gesellschaft bewegt sich immer weiter nach rechts, was mit einem dominanten Männlichkeitsbild einhergeht und zeigt: Überall ist Krise, weil alle Krisen zusammenhängen. Sex und Macht, Trauma und Widerstand prallen aufeinander, weshalb Penny so dringend fordert: Wir brauchen eine Kultur des Consent, die weit über Sex hinausgeht. Amen.“
Caroline Schmitt empfiehlt 50 ways to leave your Ehemann von Jacinta Nandi
„Männer, die selbstbesoffen ihr Ding durchziehen und Frauen, die die Arbeit von zwei Menschen übernehmen, damit ihre Kinder in einer ‘heilen Familie’ aufwachsen. Das kann nicht und sollte auch nicht lange gutgehen, schreibt Jacinta Nandi, die ihren Macker verlassen und mit Kindern nach Berlin-Lichtenrade gezogen ist. Alleinerziehend zu sein macht vieles kompliziert, anderes leichter denn je. In „50 ways to leave your Ehemann“ räumt Nandi auf mit Vorurteilen, empört sich über die Doppelstandards der Anderen, über unreflektiertes Mackertum und, das war für mich das Herzstück des Buchs, nimmt den Fall Amber Heard und die gesellschaftliche Obsession mit dem perfekten Opfer auseinander.“
Special-Tipp, quasi die gefrorene Sahne unter dem Spaghetti-Eis:
Anne Sauer empfiehlt Die Gezeiten gehören uns von Vendela Vida
(übersetzt von Monika Baark)
„Thematisch spielt dieses Buch mit dem Topos: Wem wird geglaubt? Es geht um ein Mädchen, das charismatisch ist und Lügen verbreitet, während die Protagonistin Eulabee ihr widerspricht und die Freundinnenschaft daran zerbricht. Eulabee verliebt sich, geht auf Partys, lässt einen Jungen abblitzen und muss erfahren, wie es ist, als dieser Lügen über sie verbreitet. Das alles ist verpackt in eine richtig nice San-Francisco-80er-Jahre-Atmosphäre. Wohlfühlroman trifft auf harte Themen.“
Anne Sauer vermittelt Literatur, moderiert und schreibt. Im Podcast „Monatslese“ spricht sie mit Tina Lurz über Bücher und Feelings.
Hat euch diese erste Ausgabe gefallen? Ich nenne die Buchtipps „Lesen am offenen Herzen“ und freue mich, wenn ihr mir mögliche Themen für kommende Newsletter zuschickt.
Passt auf euch auf und genießt den Sommer,
Anika
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Wer schreibt:
Mein Name ist Anika Landsteiner und ich arbeite als Autorin. Mein Fokus liegt auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur.
Hier auf Substack veröffentliche ich einmal im Monat die Kolumne „Schreiben am offenen Herzen“:
Book Lovers und Tomorrow and tomorrow and tomorrow kann ich nur unterstützen: kauft sie 🎈
Perfekter Titel. Danke für die Tipps. 🤍