Das Ende vom Anfang
herzlich Willkommen zu „Schreiben am offenen Herzen“. Viel Spaß beim Lesen (bis nach unten scrollen lohnt sich).
Folge 1: Das Ende vom Anfang
Ich habe mir ein Glas Rotwein eingeschenkt und ihr seid schuld daran.
Ich schreibe diesen Text im Namen der Liebe. Genauer: im Namen der Liebe in den 30ern. Passenderweise schließt diese erste Ausgabe den Kreis zu einer Zeit vor genau zehn Jahren. Da saß ich in einer winzigen Wohnung in München und tippte schon einmal Liebes-Kolumnen ins Netz, damals Texte über Dating in den 20ern:
Wenn wir nein sagen, dann meinen wir nein, denn ehrlich gesagt fehlt uns die dümmliche Naivität, an der Bar zu stehen und kichernd zu glucksen. Wozu auch, ich konnte mir meinen Drink immer selbst bestellen, denn wenn er mir ausgegeben wurde, hatte ich sofort das Gefühl, irgendeine Gegenleistung erbringen zu müssen. Habe dann meist nur meinen Lippenstift nachgezogen.
aus “Anleitung zur Zeitersparnis bei einem Annäherungsversuch” (2013)
An einem Valentinstag vor 10 Jahren
Zu dieser Zeit habe ich in einer Buchhandlung gejobbt, in der ich vieles, was ich heute über Bücher weiß, gelernt habe. Ehrfürchtig stand ich vor den Regalen, während die Buchhändlerin meine Schreibversuche im Möchtegern-Carrie Bradshaw-Stil las und mir irgendwann über die Seiten hinweg einen Satz zuwarf, den ich nie vergessen werde:
Magst du die nicht lesen am kommenden Valentinstag?
Ich könnte jetzt pathetisch schreiben, dass ich keine Worte dafür habe, was diese Frage damals für mich bedeutet hat. Aber ich bin es euch schuldig, Worte zu finden, denn schließlich ist das mein Beruf und ich will es mir hier nicht mit Floskeln gemütlich machen.
Also. Vor einem vollen Haus den Versuch von Liebeskolumnen zu lesen, ohne jemals irgendetwas veröffentlicht zu haben, fühlte sich so an: gesehen werden. Ich hielt noch kein eigenes Buch in der Hand, dessen Bindung beim ersten Öffnen leise knackt, stattdessen strich ich über lose Blätter und dachte: immerhin.
Dass ich mir damals so viel Liebesschmerz herausgeschrieben habe, lag daran, dass ich mit Mitte zwanzig permanent das Gefühl hatte, irgendeinem Mann nicht zu reichen. Ständig musste ich beweisen, gut genug zu sein für ihn oder ihn oder ihn, immer und immer und immer wieder. Es machte mich so krank, dass mir die Hosen von der Hüfte rutschten und sich meine Mitbewohnerinnen in der Küche über meine Gesundheit berieten. Es war die Zeit, in der ich ohne Scham verkündet habe:
Ich bin lieber unglücklich mit ihm als glücklich ohne ihn.
Also begann ich zu schreiben. Bis heute rettet es mich in allen Lebenskrisen. Jedes Wort ein Rettungsanker. Das Schreiben am offenen Herzen ist für mich ein Weg zur Selbsterkenntnis.
Damals bin ich auch regelmäßig nachts durch München spazieren gegangen. In Phasen vollkommener Unsichtbarkeit habe ich das Leben aller anderen eingesogen und den Spieß umgedreht, indem ich über sie geschrieben habe. Und bis heute nicht damit aufgehört.
„Du lässt mich nicht rein“, habe ich zu ihm gesagt. Er hat es verneint, aber wir beide wussten, dass er mich anlog. Ein paar Wochen später war ich mit Freundinnen in einem Restaurant. Im hintersten Eck saß er. Mit seiner neuen Freundin. Ein Mädchen, das von Kopf bis Fuß so komplett anders war als ich.
aus “Von Türknackern und Herzensbrechern” (2013)
What is love? Baby, don’t hurt me.
So oft scheint es mir, dass die Liebe als Thema auserzählt ist. Was gibt es noch zu berichten, außer dass es am Anfang so schön ist und dann hält es eine Weile oder eben auch nicht. Zynisch sein hilft manchmal, aber natürlich ist da noch viel mehr. Die Liebe wird immer und überall besprochen, besungen, bewertet. Weil wir sie mit Erwartungen beladen, in ein alltägliches Korsett pressen wollen, weil wir sie mit Besitzanspruch verwechseln oder ständig versuchen, ihr auszuweichen. Wir spüren so viel gleichzeitig, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten.
Stattdessen gibt’s dann Begriffe, die zeigen, wie überfordert wir sind – Ghosting, Orbiting, Dating-Burnout, Lovebombing, Benching – aber die wenigsten haben den Mut, sich die Frage zu beantworten: Was bedeutet Liebe für mich? Jetzt, für den Menschen, der ich in diesem Moment bin? Ich hatte diesen Mut lange nicht. Habe mich jahrelang an den Bedürfnissen anderer entlanggehangelt und versucht, mich selbst in ihrem Spiegelbild zu erkennen. Aber jetzt will ich diesen Mut haben. Drunter mache ich’s nicht.
Diese Kolumne ist eine Selbstermächtigung. Eine Abrechnung mit den Männern, die Narben hinterlassen haben. Eine freundliche Erinnerung an alle, mit denen es gut ausging (lies: die ich auf der Straße grüßen würde). Eine Liebeserklärung an die Frauen, die ich geküsst habe, um festzustellen, dass das Patriarchat lügt. Eine Danksagung an die Freundinnen, die wir einander sind. Ein Check-in, wie das Leben und Lieben ist, wenn wir gerade noch jung sind – und wie es sein könnte.
Dieses Projekt wird mein bisher persönlichstes sein.
Los geht’s, bevor ich es mir anders überlege. <3
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Recommendations for your inner twenty-something-person:
Don't let it go to your head
Love is stronger than fear
Don't let it change who you are
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Song: Cleo Sol – Don’t let it go to your head
Dude, can you move? Your reflection is in my selfie.
Serie: The Sex Lives of College Girls auf Amazon Prime.
Buch: Einfach super von Monica Heisey.
Maggie ist achtundzwanzig und war genau sechshundertacht Tage mit Jon verheiratet, als ihr erstes Scheidungsjahr beginnt. Und nun?
Der Roman begleitet die Protagonistin in ihrem Trennungsjahr. Das ist witzig, absurd, authentisch und auch ein bisschen traurig. Was ich am liebsten mochte: Maggies Google-Suchanfragen, anhand derer man ihren aktuellen Gefühlsstatus ganz gut ablesen konnte. Sie dreht sich nämlich wahnsinnig viel um sich selbst. Klar, Liebeskummer halt. Diesen Tanz um die eigene Achse könnte man hier und da als „unnötige Längen“ einstufen - aber wenn wir schneller zur Einsicht gelangen würden, dass der Typ ein Idiot ist, würde es diese Kolumne hier wahrscheinlich gar nicht geben.
In diesem Sinne & always remember:
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Wer schreibt:
Mein Name ist Anika Landsteiner und ich arbeite als Autorin. Mein Fokus liegt auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur.
Im Podcast „Hello, lovers!“ spreche ich mit der Paartherapeutin Dr. Sharon Brehm darüber, wie gleichberechtigte Liebe funktionieren kann.
In meinem aktuellen Roman „So wie du mich kennst“ geht es um Familiengeheimnisse und häusliche Gewalt.
Mein neues Buch erscheint diesen Sommer!
Ihr seid die ersten, denen ich das Cover zeige:
Am 11.04. erzähle ich euch auf Instagram, worum es geht. Ab dem 12.04. könnt ihr „Nachts erzähle ich dir alles“ überall vorbestellen – bitte behaltet es bis dahin geheim, okay? :)
Tolle erste Ausgabe, tolles Projekt und yay zum neuen Buch :) ich freue mich auf alles <3
❤️ freue mich so auf alles, was da von dir kommt!