Ich habe Post bekommen von Maria, die auf Substack die wundervolle Gefühlskunde schreibt.
Anika,
wie schön, dir heute zu schreiben. So richtig zu schreiben, über ein kurzes “Hey na, wie geht es dir?” oder “Ich liebe deinen Pony!” (Ich liebe den Pony an dir wirklich sehr.) hinaus. Wieviele Jahre waren es noch, die wir uns kennen? Du hattest das für eine Podcast-Episode mit uns beiden auf deinem alten Facebook-Account heraus gesucht gehabt: “Pass gut auf dich auf, ja?”, habe ich dir damals zum Abschied geschrieben. Und wahrscheinlich uns beide damit gemeint.
Also habe ich mir gedacht – schreibe ich doch mal zurück:
Maria,
ich liebe die entfesselte Oma. Diese Facette ist ein Grund, warum mich die Reels in deinem Zuhause immer schmunzeln lassen: Schürze, Leggins, Rotwein und Gilmore Girls im Hintergrund – das ist die Wohlfühl-Maria, die ich mag! Mehr Entschleunigung im blauen Handylicht geht nicht! Auf deine Frühlingsversion freue ich mich schon, denn als ich von Pimentospflanzen und toskanischem Palmkohl gelesen habe, hatte ich nicht nur florale Fragezeichen, sondern vor allem eins: Fernweh.
Du fragst, ob ich mich gerade gut um mich kümmere und ich würde sagen: Spätestens in einer Woche. Da fliege ich nämlich nach Indien für eine Ayurveda-Kur. Kennst du das, wenn man eine Blitzidee hat und die sich sofort durch den Körper kribbelt? So ging es mir letzten November – innerhalb von einer Woche habe ich alles recherchiert und gebucht.
Während du also auf glitzernden Raureif guckst und hoffentlich noch ganz oft die Nase in die Wintersonne strecken kannst, werde ich meine durchgelatschten Gummistiefel gegen gar nichts tauschen, sondern barfuß über warme Steine schreiten (wahrscheinlich stolpern). Ich kann es kaum erwarten: den Stirnölguss, die Kokosmilch im Curry und die Bananenblätter, auf denen Thalis angerichtet werden. Das Zikadenrauschen in der Nacht und der üppige Garten mit seinen zarten Frangipani-Blüten.
Ich schreibe gerade nichts, liebe Maria, ich bin mit Seufzen beschäftigt. Das Manuskript macht Pause. Es ist eine Geschichte, die sich zwischen Kontrolle und Illusion bewegt; weit weg von allem, was sich gerade in der Welt verschiebt, und doch komme ich immer wieder zu der Frage zurück, was es braucht, um sich weder im Kontrollieren noch im illusorischen Herumirren zu verlieren.
Malst du, um zu dir zurückzufinden?
Weil die Welt gerade viel zu düster ist, gönne ich dir (und natürlich nicht nur deshalb) den Garten wirklich sehr. Ein magischer Ort, wo du deine Hände vergraben kannst, um etwas zum Leben zu erwecken. Fantastisch. Ich würde gerne sagen: Schick mir was per Post, aber kannst du’s glauben? Ich habe nicht mal einen Balkon. Vier Wohnungen in München in fast sechzehn Jahren und immer bin ich leer ausgegangen. Vielleicht hätte ich irgendwann mit dem Rauchen anfangen sollen, um mehr Dringlichkeit zu spüren?
Aber wenn ich zurück aus Indien bin, streife ich mit Franny (sie bellt, ich soll Marley grüßen!) durch den Wald vor unserer Tür. Was spitzt da im März durch die frostige Decke? Schneeglöckchen? Ich halte die Augen offen, Franny die Nase, bis dahin –
deine Anika


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Wer schreibt:
💁♀️ Mein Name ist Anika Landsteiner und ich arbeite als Autorin. Mein Fokus liegt auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Feminismus und Popkultur.
📝 Online begleite ich Kleingruppen beim Schreiben und unterstütze bei allen Fragen rund um kreatives Schreiben und die Buchbranche.
📚 Im Fischerverlag sind die Bestseller So wie du mich kennst (2021) und Nachts erzähle ich dir alles (2023) erschienen. Im Mai 2024 wurde mein Essayband über weibliche Scham bei Rowohlt veröffentlicht.
🫀 Neu hier? Im Archiv findest du alle vergangenen Ausgaben der Kolumne „Schreiben am offenen Herzen“.
Vielen Dank für deine herzliche Antwort, Anika. Ich schreib dir bald zurück <3