Werkstattgespräch mit Anna Brüggemann
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Im Sommer durfte ich ein Manuskript lesen, das mich durch seine fein ausgearbeiteten Figuren und die kurzweiligen Kapitel total reingezogen hat. Bei den drei unterschiedlichen Protagonistinnen hatte ich ständig das Gefühl: Die kenne ich doch alle!
Am liebsten würde ich dieses Buch jeder Freundin schenken. Und ihrer Mutter.
In diesem Extrablatt stellt die (Drehbuch-)Autorin und Schauspielerin Anna Brüggemann ihren zweiten Roman „Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen“ vor. Manche von euch kennen bestimmt ihr Debüt „Trennungsroman“, für das sie mit dem Debütpreis der lit.cologne ausgezeichnet wurde. Wir sprechen über ihren Schreibprozess, was ihr besonders wichtig war bei der Stoffentwicklung und unsere Lebens-Parallelen.
Liebe Anna, wie geht es dir so kurz vor dem Release?
Mittel! Ich hab nicht das gleiche kindliche Vertrauen in den Text, wie ich ihn bei Trennungsroman hatte. Mein Debüt kam während Corona raus, das war so ein stiller Release. Deshalb hatte ich auch null Erwartungen, denn die Welt stand still. Jetzt habe ich nicht mehr diese Welpen-Naivität.
Über den „zweiten Roman“ mit allen Erwartungen und Herausforderungen könnten wir einen eigenen Newsletter machen… Kannst du uns deine drei Protagonistinnen mal vorstellen?
Regina – die Mutter. Ich fand es beinahe platt, sie Regina zu nennen (lat.: die Königin), aber sie ist eben die Königin. Eine typische Frau der Nachkriegsgeneration, da sie viele Möglichkeiten hatte, aber von ihr gleichzeitig ein traditionelles Frauenbild erwartet wurde. Sie hat sehr viel Lebenslust, wurde aber oft ausgebremst. Regina trägt eine Mischung aus Kraft und Zorn in sich, ist aber gleichzeitig ganz klein und liebesbedürftig, was sie schwer äußern kann.
Ihre beiden Töchter sind nur 13 Monate auseinander. Antonia ist die ältere: ein wahnsinnig unschuldiger Name, der passt zu ihr. Sie ist sanft und quasi das Gegenteil zu Regina. Sie hat in ihrer Kindheit nirgends einen Andockpunkt. Ich würde sagen, sie ist ein intuitiver Mensch, ohne es selbst zu wissen.
Wanda, die Jüngere, heißt übrigens in irgendeiner Sprache: Die Dicke.
Ah, das ist ja krass (Wanda entwickelt eine Essstörung). Der Name klingt so weich und groß…
… genau, und so präsent. Sie ist viel klarer gezeichnet als Antonia. Sie wirkt vital, weiß, was sie will, hat aber ein ähnliches Problem wie Regina, denn sie kann ihre Verletzlichkeit nicht kommunizieren – schon gar nicht gegenüber der Mutter.
Für mich geht es in deinem Roman darum, wie Mütter und Töchter aufgrund unterschiedlicher Prägung nach Liebe und Anerkennung untereinander streben. Würdest du das so unterschreiben?
Total. Ich würde noch hinzufügen, dass die Nachkriegsgeneration das berechtigte Bedürfnis nach Anerkennung und Liebe fälschlicherweise auf die Kinder projizierte.
Ja, die Zeitspanne fand ich interessant, denn das Buch beginnt 1998 bei Antonias Abitur.
Ich wollte unbedingt, dass der Text in einer Zeit vor Internet und Handy losgeht. Ich wollte dieses unterschwellig-klaustrophobische Gefühl am Ende der Kindheit – der letzten Zeit in der Familie – verstärken, denn ich glaube, man fühlte sich damals ohne Internet viel mehr der Situation ausgeliefert. Gleichzeitig wollte ich die Figuren in der heutigen Zeit ankommen lassen. Und mir war der Erziehungsstil wichtig. Wären die beiden Anfang der Siebziger geboren, wären sie eventuell nochmal strenger erzogen worden.
Mich hat die Kälte, die Regina an ihre Kinder weitergibt, total mitgenommen. Vor allem, wenn sie bei Wanda über Antonia lästert…
Ich finde das auch so schrecklich. Wanda möchte ja mit der Mutter solidarisch sein, aber nicht schlecht über ihre Schwester reden. Gleichzeitig steckt in Reginas Worten eine Aufforderung an Wanda, es nicht so zu machen wie die Schwester.
Was war bei diesem Buch zuerst da? Die Figuren oder die Idee, über Mutter-Tochter-Beziehungen zu schreiben?
Alle drei waren gleichzeitig da, weil ich die Konstellation „eine Mutter/mehrere Töchter“ so oft beobachtet habe. Und ich hatte relativ schnell das Schlussbild, das ich ja jetzt nicht verraten kann…
Oh, das Ende! Dazu muss ich gleich noch was sagen. Aber bleiben wir noch kurz bei den Figuren. Für mich war keine durchweg sympathisch, was sie so realistisch machte. Ist dir eine näher? War eine schwieriger zu schreiben?
Ich habe zu allen dreien eine Mischung aus nüchterner Distanz und Mitgefühl. Die heimliche Heldin ist für mich Antonia.
Ich habe die Fahne in Griechenland am Strand gelesen. Das war so schön, denn das Meer hat in der letzten Szene eine Bedeutung… als ich fertig war, habe ich erstmal nur aufs Wasser geguckt. Die Gedanken, die mir kamen, decken sich total mit deinen in Bezug auf Antonia.
Sie bleibt sich treu und sie verrät niemanden. Sie ist eine leise Heldin. Und ihre Tochter Celina ist der Hoffnungsschimmer. Junge Frauen heute sind oft so selbstbewusst und haben eine ganz andere Körperlichkeit. Gleichzeitig weiß ich natürlich, dass sie durch Social Media einen noch größeren Druck erfahren. Aber es gibt diese befreiten Frauen und Mädchen.
Celina macht ihrer Großmutter Regina auch mal eine Ansage.
Celina macht das, was ihre Mutter und Tante nicht konnten. Aber sie hat auch nicht die Angst, die mütterliche Liebe zu verlieren, denn sie wird sehr von ihrer eigenen Mutter geliebt.
Diese Kämpfe waren, im allerbesten Sinne, anstrengend zu lesen. Gleichzeitig bin ich durch die Seiten geflogen. Wie anstrengend war das Schreiben für dich?
Sehr. Das hat mich kalt erwischt, weil Trennungsroman sich so leicht geschrieben hat. Gerade in der ersten Hälfte kam ich immer wieder ins Stocken, weil diese Alltagssituationen so negativ und gleichzeitig so banal sind. Es ist mir teilweise schwer gefallen, dran zu bleiben, aber ich musste dieses Fundament bauen, damit man die späteren Lebenswege versteht. In der zweiten Hälfte wurde es dann einfacher.
Ich kenne das so gut. Man stockt im Schreiben und verliert sofort Vertrauen. Als müsste alles immer im Fluss sein. Machst du das dann mit dir selbst aus?