Um kurz nach 6 bin ich heute Morgen aufgewacht. Sofort hellwach. Meine innere Uhr war auf US-Wahl eingestellt. Ich habe noch ein paar Momente abgewartet und dachte: In diesem Augenblick weiß ich es einfach nicht.
Und jetzt immer noch nicht.
Dann habe ich das Handy in die Hand genommen und da wusste ich es, da war es klar, so früh schon.
In den letzten Wochen hat die Kampagne der Demokraten mich mit Optimismus erfüllt, etwas, das ich ganz grundsätzlich so gar nicht von mir behaupten kann. Optimistisch zu sein. In meinem Roman “Nachts erzähle ich dir alles” gibt es einen Satz, den Léa sagt, und den ich unterschreiben kann: “Optimismus ist naiv… aber Hoffnung ist ein Menschenrecht.”
Ich war naiv.
Deshalb war ich heute Morgen so geschockt. Zweifelsfrei bestand eine große Chance, ihn zum zweiten Mal ins Weiße Haus ziehen zu sehen. Worauf ich nicht vorbereitet war? Auf diese schnelle Eindeutigkeit. Als Biden gewann, warteten wir Tage auf das finale Ergebnis. Ich habe mich deshalb auf ein Ringen eingestellt. Und am Ende auf ein blaues Herz statt ein zerrissenes.
Ich bin so tief erschüttert und weine Sturzbäche auf meine Tastatur, weil ich alleine an meinem Küchentisch sitze und heute Hilflosigkeit Hoffnungslosigkeit gewinnen. Ich kann keine Instagramkachel teilen, in der verkündet wird, dass wir jetzt eben noch enger zusammenstehen. Denn aus den hohen AfD-Riegen wurde bereits nach Florida gewunken und gratuliert, während in einer Straßenumfrage eine junge Frau aus Pennsylvania erklärt, er würde die Wirtschaft stärken und ich frage mich: Eine Wirtschaft für wen? Glaubst du wirklich, du hast als Frau in einem Land, dessen zukünftiger Präsident von zwielichten Milliardären Backup erhält und Frauen hasst, irgendeine Chance auf ein gutes Leben?
Die wenigsten Frauen wissen, wie sehr Männer Frauen hassen.
Und was das bis auf die kleinste Ebene des Zusammenlebens bedeutet. Und viel zu viele Frauen nehmen ihr eigenes Geschlecht nicht ernst, lehnen es ab, bewerten und schränken es ein nach patriarchalischen Standards.
Wenn ich mit meinem Vater über die USA spreche, heißt es immer recht schnell, dass “die Amis so dumm sind”. Deswegen war er dort auch noch nie, in diesem Land. Ich habe mit meinem intensiven Blick auf die USA in den letzten Jahren immer gegen seine Haltung gesteuert und mich, wie viele andere, daran abgearbeitet, wie die Staaten so zerreißen konnten. Aber Europa hat ja längst nachgezogen. Die rechten Parteien und Kräfte können den Weg zu diesem Wahlsieg detailreich studieren und sie wissen: Je polarisierender, dreckiger, härter, desto gewinnbringender. Sie waren vorher schon bestärkt, jetzt wissen sie: Es kann klappen, sogar in einem Rutsch.
Diese Woche saß ich einer Therapeutin gegenüber, die mich zu meinen Albträumen befragte. Ich sagte ihr, wenn ich schlecht träume, dann hyperreal. Ich träume fast ausschließlich von Terror, Entführung, von verfolgt und erschossen werden.
Ob ich mir das denn viel anschauen würde in den Nachrichten, fragte sie. Ich antwortete: Teils, teils, nicht ständig, ich sitze an keinem Newsdesk wie Freundinnen von mir, aber natürlich geht es nicht an mir vorbei.
Aber an wem geht es denn bitte vorbei? Unter welchem Stein lebt man dann?
Also verteidigte ich mich halbherzig mit der Phrase: Ignorieren können ist ein Privileg und sie nickte, aber ich sah, dass sie mich nicht verstand und ich hätte heulen können, weil meine Therapiestunde plötzlich politisch war. Vielleicht der Beweis, dass das Private politisch ist.
Ich schreibe diesen Text, weil ich alle umarmen möchte, die ihn lesen und sich gerade genauso verzweifelt fühlen. Die wie ich manisch die Wohnung putzen, allen voran das Klo. Jetzt hämmere ich mit Herzrasen diese Zeilen, weil ich mir nicht anders zu helfen weiß. Und möchte zum Abschluss Max Czollek zitieren, der vor wenigen Stunden schrieb:
“Wenn ich die vergangenen Jahre eine Sache gelernt habe, dann, dass Einsamkeit das stärkste Gift für die Hoffnung ist. Darum: ruft euch an, nehmt euch in den Arm, entschuldigt euch beieiander. Zusammen gewinnen ist einfach, zusammen verlieren ist schwer. Es hängt so viel davon ab.”
Lasst die Tränen laufen und passt gut aufeinander auf. Und dann unterschreibt hier, es ist eine der derzeit wichtigsten laufenden Petitionen in der EU.
Ich weine mit und sende dir eine Umarmung zurück. Ich fühle das alles sehr und bin selbst überrascht, wie sehr es mich aus der Bahn wirft. Deine Worte helfen und verbinden – Danke 🧡
Liebe Annika, vielen Dank für diese wundervollen Zeilen, die sehr resonieren. Weitergeleitet, Petition unterschrieben, und sehr dankbar für tolle Menschen wie Dich da draußen. Alles Liebe aus Berlin!