Im Laufe des Lebens verlernen wir das Kreativsein immer wieder. Dieses kindliche Aus- und Herumprobieren, das danach nicht bewertet, sondern gefeiert wird.
Mir wurde meine Kreativität in der Schule abtrainiert, auch wenn das sicher nicht das Ziel des Schulsystems war. Meinen Deutsch-LK leitete eine Lehrerin, die meinte, sie wolle eigentlich nur Englisch unterrichten, habe Faust nie verstanden und wegen uns nun mit dem Rauchen angefangen. Kombiniert man diese Kernkompetenz mit den Pflichtlektüren des deutschen Kanons, ist es vielleicht nachvollziehbar, dass keine Zelle meines Körpers auf die Idee kam, Schreiben und Lesen als tragende Säulen meiner Kreativität zu sehen. Dabei hatte ich mit 11 Jahren einen Mini-Roman verfasst und bereits dutzende Songtexte und Theaterstücke in der Schublade (sowie die unglaublich nette Absage eines deutschen Kinderbuchverlags, dem ich unverlangt mein Zeug geschickt hatte).
Meine Kreativität war durch Leistungsdruck und Bewertung von außen verloren gegangen. Viele Schreibende, mit denen ich arbeite, kennen das. (Lieblings-)bücher und die Lust am Texten werden oftmals erst nach der Schulzeit oder dem Studium (wieder)entdeckt – weil Leidenschaft nur entfachen kann, wenn sie Raum bekommt. Dann flüstert eine Stimme: Lies doch einfach, was du lesen willst.
Denn wer schreiben will, muss mit dem Lesen anfangen.
Ein simples Tool
Ich flüchte mich nicht auf Knopfdruck in fremde Welten, will aber trotzdem Geschichten bauen. Wem das ähnlich geht, der:die kann in der eigenen Biografie nach Ideen suchen. Gerade für den Anfang ist das ideal.
Anfang zwanzig saß ich an einem Freitagabend mit Freund:innen zusammen. Eine:r schlug vor, noch in der Nacht nach Italien zu fahren und dort das Wochenende zu verbringen. Ich war Feuer und Flamme, aber wie das oft so ist mit spontanen Ideen in großen Runden – sie werden verworfen und vergessen. Am nächsten Morgen bin ich enttäuscht im Bett aufgewacht, anstatt bei Sonnenaufgang die Adria zu erreichen. Aus dieser Emotion entstand eine Kurzgeschichte, in der eine Frau in der Silvesternacht nach Italien fährt. Und aus diesen wenigen Seiten stülpte sich schließlich ein Roman heraus, der gar nichts mehr mit meiner eigenen Biografie zu tun hat.
Sich an Ereignissen im eigenen Leben zu bedienen, deren Ausgang man aber bewusst verändern möchte, ist ein effektives Tool, um Kreativität zu fördern. In meinem Fall trat sie mir regelrecht gegen das Schienbein, denn aus der Enttäuschung wuchs der Drang, die Geschichte umzuschreiben.
Was hindert dich, mit dem Schreiben anzufangen oder über einen bestimmten Punkt hinauszukommen?
Der wichtigste Tipp: Nicht mit publizierten Werken anderer vergleichen – diese Bücher sind Endfassungen, während es sich bei deinen Zeilen um die Rohfassung handelt. Besser ist es, beim Lesen fremder Texte die eigene Kreativität fließen zu lassen, um zu entscheiden, was dir an dem Charakter gefällt, ob du den Konflikt anders gelöst hättest oder was du dir abschaust und aufs eigene Schreiben anwendest.
Erst kreieren, dann kritisieren.
📝 HOW TO START OR GET BACK INTO WRITING 📝
Dieser Online-Workshop richtet sich an alle, die mit dem Schreiben loslegen möchten oder das Gefühl haben, blockiert zu sein. Im ersten Schritt klappern wir wichtige Fragen ab, im zweiten Teil machen wir eine Schreibübung und sprechen darüber, was es mit der eigenen Kreativität gemacht hat. Abschließend teile ich wichtige Schreibtools und wir loten wir aus, wie es für jede:n Teilnehmer:in weitergeht.
Der Kursinhalt richtet sich an fiktionales, autofiktionales und nicht fiktionales Schreiben.
Nächster Termin: 14.04., 18:30 Uhr
Schreibwerkstatt: Eine Sache, die ich gerne früher gewusst hätte 🫠
Ist es schlimm, wenn am Anfang der Geschichte die Figuren noch nicht stehen?
Wer schreibt:
💁♀️ Mein Name ist Anika Landsteiner und ich arbeite als Autorin. Mein Fokus liegt auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Feminismus und Popkultur.
📝 Online begleite ich Kleingruppen beim Schreiben und unterstütze bei allen Fragen rund um kreatives Schreiben und die Buchbranche.
📚 Im Fischerverlag sind die Bestseller So wie du mich kennst (2021) und Nachts erzähle ich dir alles (2023) erschienen. Im Mai 2024 wurde mein Essayband über weibliche Scham bei Rowohlt veröffentlicht.
🫀 Neu hier? Im Archiv findest du alle vergangenen Ausgaben der Kolumne „Schreiben am offenen Herzen“.